Ausnutzung der Naturschätze

aus der Zeitschrift Prometheus, Illustrierte Wochenschrift über die Fortschritte in Gewerbe, Industrie und Wissenschaft.

in Nummer 995 vom 18. November 1908 Seite 109 f

 

[10.1751] RUNDSCHAU. (Nachdruck verboleu.j Unsere /.eit hat, wie in so vielen anderen Dingen, auch darin Wandel ge^challcn, das° eine gewisse Be­sonnenheit in der Ausnutzung der Naturschätze einge­treten ist, die um so bemerkenswerte! ist, als ilic Hand in Hand geht mit einer bi zur Uner&jttlichkeit gestei­gerten Gier m Suchen nach nolchen Schätzen, Man konnte last meinen, dass gerade diese liier auch die Uefürchtung gezeitigt hat, die Schätze könnten nicht unerschöpflich sein, ähnlich wie etwa ein Geizhals au der steten Vernichtung seines Goldes arbeitet und dorli fortwährend von der Äugst geplagt ist, es konnte ein­mal alle werden. Natürlich wird jeder vernünftige Mensch solche Be­sonnenheit billigen, Warnungen vor rücksichtsloser Vergruduiig dessen, was uns verliehen ist, mit I reude begrüssen und das Seinige dazu tun, um sie zu befol­gen und zu verbreiten. Aber andererseits liegt »ueli hier wieder die Gefahr nahe, dass mall zu weit geht. Ks gilt dies namentlich 1011 den Kmeugtiisseri der be­*) \ gl. l’rouutheus, Jahrg. \Y111, S. 3(19, 385. J\i 995. ebten Natur, welche sich in bestimmten Zeiträumen erneuern und nicht, wie die Mineralschätze, für immer verschwunden sind, wenn man sie einmal von ihrer Fundstätte entfernt hat. Bei den Produkten der Tier- und Pflanzenwelt wird man immer unterscheiden müssen zwischen Ernte und Raubbau. Letzterer ist stets verwerflich, eine ver­nünftige Ernte dagegen ist, auch iu den Fällen, wo die Aussaat dem freien Walten der Natur überlassen blieb, die entschiedenste und unbestreitbarste Vermehrung des Xationalwohlstaudcs der Volker. Denn was die belebte Natur schafft, ist dazu bestimmt, in absehbarer Zeit in Form von Zersetzungsprodukten wieder der Allgemein­heit anheimzufallen, ob wir nun eine Periode der \usnutziing fiir unsre Zwecke Zwischenschalten oder nicht. Wir gewinnen mit einer solchen Zwischen­schaltung, und die Natur wird dadurch nicht geschädigt. Die Feldfrüchte unsrer Acker wären verfault und verrottet, einem langsamen Vcrbrennungsprozess anheim­gefallen, wenn \fir sie nicht rechtzeitig geerntet hätten. Tun. wir dies aber, so kehren sie iu Form von Ver- atmungs- und Verdauungsprodukten, also auch in auf­gelösten», verbranntem Zustande, auf den Acker und in die Atmosphäre zurück. \n dem schliesslichcn End­resultat ist also gar nichts geändert, während wir einen grossen Nutzen von der \nlcihc gehabt haben, welche wir uns bei der Natur erlaubten. Ein Haubbau dagegen i&t die Tat eines unehrlichen Schuldners, der das Ent­liehene nicht zurückerstatten will. Zwischen diesen beiden Formen der Anleihe bei der Natur wird nicht immer scharf genug unterschieden, und namentlich in früheren Zeiten hat man es sich übcih.uipt nicht klar gemacht, dass ein Unterschied zwischen ihnen existiert. Natürlich ist es nicht zu umgehen, dass das Bild der Erdoberfläche in den Jahrtausenden ihrer Bewohnung durch unser (ieschlecht allmählich umgestaltet wird. So kann es z. 1). nicht ausbleiben, dass die dichten Wälder, mit denen fast alle Kontinente in ihrem Ur­zustände überzogen waren, allmählich schwinden, um für Ackcr, Gärten und menschliche Bauwerke Platz zu machen. Wenn nur dieser Umwandlungsprozess in vernünftigerweise sich vollzieht, so ist gegen ihn nicht das Geringste einzuwenden. Auch die frei waltende Natur ändert, und oft sogar in viel brutalerer Weise als der Mensch, die Bestimmung der von ihr in Ge­brauch genommenen Ländereien. W enn grosse Gebiete durch Überschwemmungen versanden, von Lavaströmen überdeckt oder vom Meere verschlungen werden, so sind das Störungen des Gleichgewichtes, welche erst in Jahr­tausenden wieder ausgeglichen werden. Was ist da­gegen ein ausgerodeter Urwald, auf dessen Boden ein Wcizenacker oder eine Kafleeplantage angelegt wird? Aber unverzeihlich ist es, wenn steile bewaldete Bergabhänge, auf denen der fruchtbare Boden nur durch Vcmittlung der Baum würze In festgehalten wird, rücksichtslos und nur im Hinblick auf deu un­mittelbaren Gewinn ihrer ganzen Ilolzschätzc beraubt werden, sodass schon die nächsten Gewitterregen die lose Erde herabschwenimen, den nackten, auf immer unfruchtharen Fels zurücklassend, während gleichzeitig die Talsohle verschlammt und verwüstet wird. So haben es die griechischen Kolonisten in dem einst dicht be­waldeten, jetzt aber steinreichen und daher hoffnungs­los verarmten Sizilien gemacht, so haben nach ihnen und in einer Art unbewusster Vergeltung die Vene- tianer in Attika, Böoticn und auf den Inseln de» \gäischcn Meeres gewütet, welche noch zu den Zeiten 1 09 des Pausanias mit herrlichen Wäldern bestanden waren. Hatten die Venetianer aus diesen Wäldern nur die schönsten Stämme für den Bau ihrer Galeeren verwendet und den jungen Nachwuchs stehen lassen, so könnte noch heute Griechenland eines der holzreichsten Länder sein. Aber um den Transport der grossen Stämme zur Meeresküste zu erleichtern, brannten sie das junge Jlolz nieder und verwandelten so den prächtigen Wald in unfruchtbare Stcinwüsten. Das war Raubbau im schlimmsten Sinne des Wor­tes, ein Raubbau, wie er auch heute noch gelegentlich vorkommt. Vielleicht nicht in den zivilisierten Ländern Mitteleuropas, wo jeder Eussbreit Landes von den Or­ganen der Regierung überwacht wird, aber in entlege­neren Gegenden, welche jetzt noch von Eindringlingen rücksichtslos ausgebeutet werden, mit der Zeit aber auch die llcim.it einci bodenständigen Bevölkerung werden müssen, die ihrem dauernden Grundbesitz so viel wird abringen wollen, als er naturgemäss herzu­geben vermag. Diesen kommenden Generationen von Landienten ihren Besitz ungeschmälert zu erhalten, ist die heilige Pflicht derer, welche solchen jungfräulichen Boden in zeitweiligen Nicssbrauch nehmen. Als Söhne unsrer Zeit und Träger unsres verfeinerten Reehtsbe- wusstseins sollten sie imstande sein, zwischen Ernte und Raubbau scharf zu unterscheiden. Es gilt dies ganz hesonders für unsre afrikanischen Kolonisatoren, bei denen nicht selten der Tropenkoller den Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen verwischt, noch ehe er in noch bösartigeren Symptomen zum Ausbruch kommt. Nicht immer ist es Gewinnsucht* welche zum Raub­bau verleitet; auch wissenschaftliche und ästhetische Regungen können die Menschen dazu führen, sich die­ses Vergehens schuldig zu machen. Oft sind es im übrigen wohlerzogene und feinfühlige Menschen und nicht selten Frauen, welche gerade durch die Freude an der Natur sich verleiten lassen, wie Vernichtungs- cngel zu wüten. Ich erinnere daran, dass viele unsrer schönsten mitteleuropäischen Blumen und Insekten von ihren Liebhabern so rücksichts- und mitleidslos „ge­sammelt“ worden sind, dass man sie heute schon fast als ausgerottet betrachten kann. Es gehören dahin Cvpripedittm CaUeolus, der reizende Frauenschuh, Lilium Jfartagon, der Türkenbund, und viele andre liebliche Kinder Floras, während die Alpenrose und namentlich das Edclweiss ihre Erhaltung nur dem Umstaude dan­ken, dass sie es verstehen, Standplätze aufzusuchen, auf welche ihnen der Mensch gar nicht oder nur mit äusser- stcr 1 ebensgefahr zu folgen vermag. Mitunter sind es Leute, welche sich selbst als Botaniker bezeichnen, welche in der entsetzlichsten Weise unter botanischen Seltenheiten wüten, wie nachstehende kleine Geschichtc beweist. Ein begeisterter Naturfreund hatte 1883 auf einem der Hochmoore des Thüringer Waldes eine der merkwürdigsten Pflanzen, die aus Amerika stammende Sarracenia purpurta9 an verborgenen Stellen ausgesetzt und freute sich, alljährlich zu sehen, wie die Pflanzen gut gediehen und sich vermehrten. Eines Tages aber waren sie alle verschwunden. Erst nach längerer Zeit kam ihm die Veröffentlichung eines Botanikers (!) zu Gesicht, der von seinem seltenen Fund berichtete und sich damit rühmte, alle Pflanzen, die er nur hätte fin­den können, eingeheimst zu haben. Jeder, der aus botanischem Interesse Pflanzen sam­melt, sollte sich das Gelübde leisten, stets nur einige wenige der von ihm aufgefundenen Pflanzen mit- I 1 o l’ROMI-TIIKUS. j\i 9Q v zunehmen und sich davon zu überzeugen, d.iss eine grössere Zahl unbcrübit bleibt. Namentlich aber soll­ten Schilllehrer, welche ihre Schüler zum .Botanisieren .Inhalten, ihnen diese Kegel als oberstes Gebot ein­schärfen und sich selbst dabei daran erinnern, dass sie nicht bloss einzelne Enthusiasten, sondern ganze Horden derselben auf die «ehrlose Natur loslassen. Mit Dank und \ ucrkciinung wird jeder Denkende es begriissen, dass heutzutage Bestrebungen zur Pflege der Naturdenkmäler iu gesitteten Ländern sich zu re- ^en beginnen, und dass der Begrifl der „Naturdenkmäler“ von Höhlen, seltsamen l’elsen und ehrwürdigen liaum- rieseu auch auf seltene und nur au vereinzelten, eng­umgrenzten Fundorten vorkommende l’flanzen ausge­dehnt worden ist. Aber die Schutzzäune und War- nung>pf»hle für solche Naturdenkmäler sollten nicht nur .111 Ort und Stelle, sondern vor allem auch in dem Bewusstscin der Menschen errichtet u erden. Ks sind die Schuleu, denen die schöne \ufgabc zufällt, die Ehrfurcht vor dem heiligen Schallen der Natur in die Herzen ihrer Zöglinge zu pflanzen!
Xiemaud, der die vorstehenden Zeilen liest, wird mich für einen Fürsprecher rücksichtsloser Ausbeutung vou Naturschätzen halten. Vber, wie ich bereits er­wähnte, man kann auch im Beklage» der „Naturaus- uutzung zu weit gehen und Leute des Raubbaues be­schuldigen. welche in Wirklichkeit nur einer legitimen Einte sich hcflcisbigcn.
\\ ic oft liest und hört man nicht Klagen über die „rnubhaiimassigc“ Gewinnung des Kautschuks in den l’rwhldern von Norbrasilicn, Die Verkünder solcher lliobsposten hatten sich von ihicr eigenen Kurzsichtigkcit ebensowenig Rechenschaft gegeben, wie von dem Wesen und Leben eines tropi­schen Urwaldes. Sie bedachten nicht, dass Preissteige­rungen auf dem AVeit markt cbcnsoleicht durch erhöhte Nachfrage wie durch vermindertes Angebot hervorgerufen werden können. In der Tat war die starke Erhöhung der Kautschukpreise lediglich eine J-olge des Auf­blühens der Automobilindustrie mit ihrem gewaltigen Bedarf an l’ncumatiks, für deren Herstellung nur der allerbeste l‘.irakautschuck verwendet werden kann.
Wie aber soll nach Ansicht dieser Zeloten der er­forderliche l’aragummi gewonnen werden? Ich höre sebon die Antwort: Durch regelmässigen I’iantagenbau! Ja, meine Herren, daran hat die < lummindustric schon gedacht, lange, ehe Sie ihre warnende Stimme erhoben. Allüberall, wo Klima und Bodenbcschaflcnheit sich dazu eignen, in Bolivien, Kolumbien und Mexiko, auf 4 eyion und Java, neuerdings auch iu den deutschen afrikanischen Kolonien, hat man die Htvca trasilicasis angepflanzt und gefunden, dass sie ein gutartiger, leicht­wachsender Baum ist, der sich willig in menschliche fliege begibt. Mau hat gelernt, aus dem Milchsall, den m.iu auch aus den kultivierten Bäumen durch An­zapfung der Kinde gewinnen inuss, in rationellerer Weise einen fast farblosen Kautschuk herzustellen, der im Markte in ansehnlichen Mengen erscheint uutl noch höher bewertet wird als der aus den >.iidWach- sciulcn Bäumen gewonnene brasilianische. Aber soll man deswegen die Gewinnung des Kautschuks aus den wilden Bäumen aufgeben.‘ Soll mau sie ihrem Schick­sal überlassen, welches darin besteht, dass sie, wie die anderen Baumricsen des Urwaldes, mit der Zeit alters­schwach und morsch zusammenstürzen und von dem üppig cmporwuchcrudcii Nachwuchs des Waldes über­zogen und begraben werden, ohne irgendeinen Nutzen gebracht zu haben
Der Kautschukbaum macht, wie alle Nutzpflanzen der Trope» und wie in vorgeschichtlichen Zeiten auch die l’ll.inzen unseres Ackerbaues, seine Umwandlung vom Naturprodukt zur Kulturpflanze durch. Während wir ihn in steigender Zahl anpflanzen und pflegen, machen wir uns gleichzeitig diejenigen Bestände zu­nutze. welche noch aus der Zeit seiner Wildheit herrühren. Und weil der Iropciiurwald stets und immer gcmischtcn Bestand hat. so müssen wir die einzelnen Gummibäume da aufiucheu, wo sie eben im Kampf ums Dasein liaheu emporwachsen können. Der halbwilde „l’eon“, der sich dieser durchaus nicht leichten Arbeit uutcr/ieht, erfüllt in seiner \\ eise auch eine Kulturmission, indem er Pfade in den Urwald schneidet und ihn langsam seiner schliess- lichcn Bestimmung, urbar gemacht zu werden, zuführt. Ein solches Verfahren der langsamen Ausbeutung und Erschliessung ist mir immer noch lieber als der leider nur zu oft vorkommende ladikalc Prozess absichtlich ungelegter, über Ouadiatkilometcr sich erstreckender Waldbrände. Diese letzteren sind der wahre Kaubbau.
Bei dem vorstehenden Beispiel wollen wir es heute bewenden lassen, da der lur eine Rundschau zur Ver- lügung stehende Raum erschöpft ist. Das l’hcma selbst ist fast unerschöpflich und kann uns vielleicht noch ein oder das andere Mal Stofi“ zu unseren Betrachtungen liefern. Otto X. Witt.

 

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